Archiv

Archive for Juni 2008

Ballacks Dampfhammer ist nicht mehr als ein erster Schritt

(EM-Kolumne, Teil 6)

Nur Ruhe. Es ist nur ein 1:0. Es ist ein Weiterkommen mit großen Baustellen und vielen offenen Fragen. Was bleibt ist die Qualifikation fürs Viertelfinale und ein anstehender Gegner, Portugal, der um das Vielfache stärker ist als die gesamte österreichische Mannschaft.

Doch es war nichts Ganzes und nichts Halbes. Kein Tor direkt aus dem Spiel, sondern „nur“ durch Michael Ballacks Dampfhammer, der seine gute Leistung leicht beschönigte. Das Manko der Deutschen bleibt eindeutig der Angriff. Gomez ist ein Totalausfall, Kloses Leistung nur sehr langsam ansteigend und der eingewechselte Hitzlsperger ist ineffektiv. Aus dem Mittelfeld kommt zu wenig, Frings fällt durch nichts Anderes als Meckern auf.

Aber es ist nicht alles schlecht. Philipp Lahm spielt die Europameisterschaft seines Lebens, fast jeder seiner Angriffe führt zu Gefahr bei der Hintermannschaft der Österreicher. Auch Per Mertesacker überzeugt in der Abwehr, er gewinnt jeden Zweikampf, ist eine Bank wie schon zuzeiten der Weltmeisterschaft im Jahr 2006. Auch Lehmann überzeugt, er spielt den guten elften Feldspieler und fängt jeden hohen Ball.

Umterm Strich sagt es Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Spiel ganz richtig: „Wir haben effizient gespielt.“ Man wünscht sich nun eine deutliche Steigerung bis hin zum nächsten Spiel, es gab noch deutliche Abstimmungsprobleme im Passspiel, einige Laufweg waren noch nicht eindeutig, auch am Engagement muss noch gearbeitet werden. Es war nicht mehr als ein erster Schritt, aber es war einer. Und der war wichtig.

Der Glasperlenspieler (findet Jogis Geheimnis spannend)

Blut-und-Galle-Spiele

(EM-Kolumne, Teil 5)

Fußball, Fußball, Fußball. Und kein Ende in Sicht. Es war das wohl dramatischste Spiel, das diese Europameisterschaft zu bieten hatte. Zwischen Tschechien und der Türkei schien nach dem 2:0 für unsere Nachbarn schon alles entschieden zu sein, doch dann kam die alte Fußballweisheit: Ein Spiel hat 90 Minuten. Und manchmal ein wenig mehr.

Die Türken zeigen Moral und kommen zurück. Tor, Tor und nochmals Tor. Und mit dem nächsten Wimpernschlag sind die Tschechen raus aus dem Turnier. Und dieses Spiel hatte alles, was ein großartiges Spiel ausmacht:

  • ein Menge Tore
  • Moral und Kampf
  • der Spielstand wurde komplett gedreht
  • Torwartfehler
  • nicht gegebener Elfmeter
  • eine rote Karte für den Torwart
  • ein Feldspieler im Tor

Es war das erste wirkliche Endspiel, wie wir sie in den nächsten Tagen unzählige erleben werden und wie sie spannend sind und so manche Fußballseele an den Rand des Herzstillstands bringen werden. Die Liebe zum Fußball wird gestärkt durch solche Blut-und-Galle-Spiele, man muss die Sportart einfach dafür lieben.

Im Übrigen auch dafür, dass Köbi Kuhn mit den Schweizern ein versöhnlicher Abschied gelingt, indem sie Portugals B-Team bezwingen. Gut so. Man kann nichts berechnen. Und nun, liebe Strategen, wer wird Europameister?

Der Glasperlenspieler

Athene versus Minerva

(EM-Kolumne, Teil 4)

Griechenland ist raus. Rehakles heißt nun wieder Otto, Zeus scheint es nicht gewollt zu haben. Nun wird es also wieder einen neuen Europameister geben, so wie es schon immer in der Geschichte war. Und alle scheinen an Griechenland zu verzweifeln, denn was hat sich der deutsche Trainer da nur gedacht: Drei Mittelstürmer auf einmal und trotzdem so defensiv wie kein anderes Team.

Und irgendwo finden sich auch Parallelen zu Italien, die Buffon noch kurz vorm Aus hält (wie schon gestern erwähnt), indem er sich in die Ecke schmeißt und mit dem Beinchen allen rumänischen Träumen ein Ende bringt.

Und nicht umsonst sind es Griechen und Römer, die hier in die Ecke gedrängt werden und auch an ihrer Geschichte zu Grunde gehen. Die Mythologie von gestern ist vielleicht deren Fallstrick von heute. Es sind die großen Traditionen, wie sie bei Italien im Fußball und bei den Griechen in den olympischen Spielen liegen. Hier treffen elementare Tendenzen genau in dem Punkt aufeinander, als sie den Tiefpunkt erreichen, als sie das Waisenhaus durchwandern, um nun den Blick nach oben zu richten.

Denn: Fußball im Speziellen und Sport im Allgemeinen ist nicht nur „auf dem Platz“ entscheidend, sondern kann für mehr stehen: für eine Kultur des Niedergangs oder des Aufstiegs, für emotionale Trugbilder und politische Gemeinplätze. Fußball ist deswegen wertvoll, da er den Mensch in seiner niedersten Form darstellt und im gleichen Zuge kosmopolitisch sein kann.

Der Glasperlenspieler

Groooooooot

(EM-Kolumne, Teil 3)

Gefühlte fünftausend Chancen verhalfen den Franzosen nicht zum Sieg, denn ihnen stand der vermeindliche Europameister entgegen. Die Rede ist von den Niederlanden, die im Sturm unwahrscheinliche Knipserqualitäten und in der Abwehr eine Melange aus Glück und Zuversicht aufweisen. Wir sahen die momentan mit Abstand stärkste Mannschaft des Turniers. Kommentar von Tom Bartels: „Es ist ein Genuss da zuzuschauen.“ Groot, großartig!

Gleichwohl sahen wir am Vorabend das schwächste Italien seit Jahren, dass zehn Minuten vor Schluss schon kurz vorm Aus stand und denen nur durch einen verschossenen Elfmeter der Rumänen der Zugang zum Viertelfinale noch nicht verwehrt ist. Und damit konnte es auch zu einer Wiederaufnahme des WM-Finales von vor zwei Jahren kommen, das damals die Italiener nach einem unsittlichen Kopfstoß des französischen Ausnahmefußballers Zinédine Zidane gewonnen hatten.

Im deutschen Team wird indes weiter getrauert. Und was sagt Jogi Löw? „Wir schaffen das!“ Wie? Da kann er mit keiner konkreten Antwort dienen. Einige Spieler sind leicht verletzt (Poldi, Lahm), etliche haben Formtiefs (speziell Jansen und Odonkor), anderen fehlte es an Führungsqualitäten (Frings und Ballack). Viel Arbeit und wenig Zeit: Doch wann ist die deutsche Mannschaft immer am Stärksten gewesen? „Unter Druck!“ Naja, wer daran noch glaubt …

Der Glasperlenspieler

Was bleibt? Ein grottenschlechtes Spiel!

(EM-Kolumne, Teil 2)

Man mochte es nicht glauben, doch am Ende stand das Ergebnis wie in Stein gemeißelt: Kroatien besiegt Deutschland mit einem verdienten 2:1 und die Nationalmannschaft wird auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Nach Lobeshymnen der Medien für das eher mittelmäßige Polen-Spiel, zeigt sich auch eines ganz deutlich: Alles schönreden heißt noch lange nicht, dass man das Spiel gewonnen hat.

Die Kroaten sind es also, die den schon fast sicher geglaubten EM-Titel in weite Ferne rücken lassen. Engagiertes Pressing, schnelles, ballsicheres Spiel und schon sehen die Deutschen alt aus. Und ein jeder erinnert sich an die WM von 1998, da die Kroaten nach einem bizarren Foul an Christian Ziege der deutschen Mannschaft das Aus brachten. Damals war es der erste Sieg einer kroatischen Mannschaft gegen eine deutsche und es scheint die logische Fortsetzung einer spannenden Geschichte zu sein, die dem Team von Trainer Löw nun gegen das Gastgeberland Österreich ein neuerliches Endspiel beschert.

Und sie lebt auf, die alte Angst der starken Mannschaften vor einer wiederkehrenden Historie, die oft ganz unbewusst in den Köpfen selbst der Spieler zu sitzen vermag, die damals noch im jugendlichen Alter den Verlieren von gestern nachtrauerten. Mediale Macht zeigt sich genau dann: in Interviews wird auf die letzte Niederlage verwiesen, verzehrende Fragen diffamieren einzelne Spieler oder loben Siege in den siebten Himmel.

Was bleibt für die deutsche Mannschaft ist ein grottenschlechtes Spiel, eine Enttäuschung der unzähligen Fans und die Erkenntnis, dass man auch verlieren kann, wenn zwei die Chance haben zu gewinnen. Denn du kannst dich nirgendwo ausruhen: nicht auf negativer Geschichte und nicht auf metaphysischen Verklärungslogarithmen.

Der Glasperlenspieler