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Posts Tagged ‘Merkel’

Herbst der Veränderung

In Dresden und überall ist der Herbst eingezogen – die schönste Jahreszeit überhaupt. Seit einigen Wochen schon flanieren wir überauf blättergesäumte Straßen und Wege, der Wind weht uns in die Kleider und wir ziehen die Reißverschlüsse immer höher. Es ist die Zeit der verträumten Spaziergänge durch Gärten und Parks, die Zeit der Vorfreude und Angst, der Nachdenklichkeit und Verschlagenheit. Das Bewusstsein der Vergänglichkeit wird uns hier besonsers nahe gebracht, alles fliegt um uns herum und verwelkt bis zum Verschwinden.

Und die Veränderung begegnet uns überall. Vor einem Monat noch waren wir beim Tag des offenen Denkmals, haben einen Dorfrundgang durch Loschwitz mitgemacht, bei grünen Wiesen und Nicki-Wetter. Vor einer Woche schon war das Müglitztal in solch wunderbar bunte Farben gehüllt und nun werden schon die Elbwiesen gemäht und übrig bleibt das Gefühl, dass man das, was man eigentlich festhalten wollte, schon längst verloren hat. Die Veränderung kommt in Schüben und ist doch fließend. Früh wachen wir auf, die Scheiben sind noch leicht beschlagen und der Tag ergibt sich in Andeutungen, Erinnerungen an das Gestern, bis es immer eher dunkelt.

Wandel auf allen Gebieten. Manche sprechen vom Politischen Herbst oder dem Herbst der Entscheidung. Manche meinen, welke Blätter gibt es auch im Bundestag und im Regierungslager, einige werden fallen und für immer verschwinden. Frau Merkel hat schon die ersten welken Ränder, trotz und gerade wegen vieler Dementis. Und Schäuble kehrt zwar zurück, doch die Nachfolger scharren schon mit den Füßen. Nichts ist sicher, nichts ist von Dauer. Und so wird sich womöglich auch schon in den nächsten Wochen entscheiden, wer wo verdorrt und wann wem das letzte Grün entweicht.

Doch gemach. Dem Herbst folgt der Winter, der vieles verdeckt und manches verschweigt. Lassen wir uns überraschen und warten, bis das Blut gefriert.

Christian Helfricht

Willkommen in der Heimat …

Rolle rückwärts

26. Oktober 2009 1 Kommentar

Träume ich oder ist dies die Wirklichkeit? Das Wochenende ist vorbei und alles ist anders. Alles ändert sich, wirkt wie entrückt und verzerrt, und doch wie eine Wiedergeburt alles Alten, wie ein Auferstehen nach elf Jahren Macht im Wartezustand. Die, die man 1998 begraben hatte, werden nun exhumiert. Es ist der Aufstand der Toten, die sich mit jungem Gras schmücken – wie oft kann man Leben denn wiederholen?

Nehmen wir Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Schon 1992 war sie Justizministerin unter Helmut Kohl, trat dann wegen Unstimmigkeiten mit der eigenen Partei 1995 zurück und 14 Jahre später ist sie wieder an alter Stelle. Die „Jeanne d‘ Arc der Bürgerrechte“ (Süddeutsche Zeitung) darf sich nun wieder um das kümmern, was sie schon immer interessierte. Was hat sich also verändert seit 1992?

Oder Rainer Brüderle. Der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes gilt als Verteidiger der Marktwirtschaft, als wortgewaltiger, manchmal pöbelnder Redner. Doch was darf man von ihm erwarten? Seine Kompetenzen als neuer Wirtschaftsminister sind gering, sein Amt steht im Schatten des Finanzministers, seine Entscheidungsgewalt darf sich in der nächsten Zeit Opel und Arcandor zuwenden. Brüderle ist einer, von dem man das Gefühl hat, dass er nie richtig da war, aber auch nie richtig weg. Auch er ist ein Politiker der Vergangenheit.

Das beste Beispiel der neuen Regierung bleibt allerdings Wolfgang Schäuble. Er gilt als politisch erfahren, als einer, der sich auch gegen den Willen anderer durchsetzt und seine Meinung immer klar vertritt, auch wenn er manchmal deutlich falsch liegt. Es ist ganze 20 Jahre (!) her, da war er schon Innenminister unter Kohl. Keiner in der Regierung kann soviel Erfahrung mitbringen, keiner bestimmte so lange die Geschicke Deutschlands mit. Er war es, der den Einigungsvertrag mit der DDR entscheidend lenkte. Das ist Wolfgang Schäuble. Ihm muss man große Verdienste zugestehen, doch auch er ist ein Politiker von gestern, einer, dem nochmal ein wichtiges Amt übergeben wird – wohl sein letztes, öffentliches in der Bundesrepublik. Er gilt als Hüter der inneren Sicherheit, aber auch als knallharter Beschneider der Freiheitsrechte.

Das sind drei Beispiele einer neuen Regierung, die so neu gar nicht ist und die mit den Jungpolitikern Rösler (Gesundheit) und zu Guttenberg (Außen) zwei Unerfahrene in die schwierigsten Ministerien setzt. Das ist eine neue Regierung, die den alten Außenminister Franz Josef Jung, der politisch schon verabschiedet wurde, in das in Zeiten sozialer Kälte wichtige Arbeitsministerium setzt und die blasse Annette Schavan das Zukunftressort Bildungs weiter verwalten darf.

Man möchte sagen: Bravo! Wie kann man einen Start in dieser Weise verschlafen, ja versauen gar? Und über die Themen ist ja noch nicht mal richtig gesprochen worden, schwere Punkte wurden in Kommissionen vertagt, Schattenhaushalte wurden verkündet und bestritten, die Gesundheit wird die Armen im Lande mehr und mehr belasten und die Laufzeiten der Atomkraftwerke werden verlängert. Es wird ein Betreuungsgeld beschlossen, das die Kinder aus den für ihre Sozialisation wichtigen Kitas heraushält, gesetzliche Mindestlöhne bleiben in weiter Ferne, die Beiträge zur Pflegeversicherung steigen, gentechnisch veränderte Lebensmittel sollen angebaut werden dürfen, die Entwicklungshilfe wird mehr und mehr dem Außenministerium untergeordnet, usw.

Das also ist Schwarz-gelb. Darauf und auf noch so einiges mehr müssen wir uns einstellen. Doch wir haben es so gewollt. Wer den Versprechen von Westerwelle, Merkel und Seehofer vor der Wahl glaubte, dem werden wenn nicht heute dann morgen die Augen geöffnet werden. Viele Errungenschaften, die unter Rot-grün eingeführt wurden und unter Schwarz-rot verteidigt oder erweitert, sind heute nichts mehr Wert. Vieles, das Deutschland in die Moderne des 21. Jahrhunderts geführt hat, wird nun auf den Stand von 1998 zurückgefahren, denn es sind die an der Macht, die seit damals nichts gelernt haben. Nun werden sich Slogans nach und nach entzaubern und nur die eine Hoffnung bleibt: dass es nicht allzu schlimm wird in diesen vier Jahren und dass sich die Sozialdemokraten bis 2013 wenigstens etwas erholen können.

Der Glasperlenspieler

Kann es noch schlimmer kommen?

Man dachte noch wenige Tage vor der Wahl: vielleicht schafft es die SPD ja doch noch, vielleicht holen sie noch ein wenig auf – doch die Ernüchterung folgte postwendend: Das historisch schlechteste SPD-Ergebnis der Nachkriegszeit und eine schwarze-gelbe Mehrheit. Kann es noch schlimmer kommen?

Also mal ehrlich: Das hat die SPD nicht verdient. Doch gleichzeitig war es wahrscheinlich mal notwendig. Die SPD kann sich nun regenerieren und muss das auch wirklich tun. Das bedeutet: es braucht neue, junge Kräfte; es muss programmatische Klarheit geben: weiter Agenda-Politik oder eine Neuentdeckung linker Positionen; es bedarf einer Öffnung zur Linken.

Aber über das Ergebnis der SPD ist schon viel geredet worden, auch über Münteferings möglichen Abgang. Viel mehr muss man mal in die Hintergründe schauen und erste Stimmen von Schwarz-Gelb hören: Westerwelle spricht nicht mehr von Steuersenkungen, eher von Entlastungen der Bürger. Das erste Wahlversprechen also schon wenige Stunden nach der Wahl gebrochen. Und das vom ach so staatstragenden Westerwelle, dem Außenminister in spe. (Wer kann sich das nur vorstellen???)

Und die CDU/CSU muss sich klar positionieren gegen die FDP, denn die Bürger müssen sich nun an Merkel wenden. Sie muss das Soziale gegen marktradikale Positionen der Freiheitlichen durchsetzen. Die meisten Bürger, die nun FDP wählten, haben das FDP-Programm wahrscheinlich nie gelesen, wie könnte man sonst da ankreuzen …

Alles in allem: Ich bin enttäuscht, meine zwei Stimmen für die SPD haben nichts mehr genützt. Vier Jahre muss man sich nun gedulden und auf starke, linke Oppositionsparteien hoffen, denn nur sie können das Land wirklich erneuern. Dazu allerdings muss sich zunächst die SPD erneuern.

Zeit wird’s! Auf geht’s! Glück auf!
Der Glasperlenspieler

Und kennen Sie den schon? Westerwelle, der große Außenexperte, und seine Englischkenntnisse
Link

Trauerspiel Politischer Aschermittwoch

Stellen Sie sich einen Westerwelle vor, der sich mal nicht über irgendetwas aufregt, der mal nicht vorm schleichenden Sozialismus warnt oder niedrigere Steuern als Allheilmittel preist. Ein Westerwelle wäre das, der müsste erst geboren werden. Der FDP-Vorsitzende ist eher zu verstehen als Chimäre der politischen Klasse und als Symbol dessen, wofür der Politische Aschermittwoch in diesem Lande steht: Pöbelpolitik, die den Leuten nach dem Munde reden soll, Ideenlosigkeit und Traditionstreue.

Und gerade mit der Tradition hält es der CSU-Vorsitzende Seehofer, denn er weiß, wie man bayerische Anhänger an sich bindet. Proporz, deftig-derbe Sprücheklopferei, Attacken auf Berlin und die eigentlich verbrüderte CDU, usw. Das wichtigste ist allerdings die Stimmung. Man muss die Anhänger im Saal mitreißen, sie gewinnen und daraus Profit schlagen, eine bierselige Stimmung schaffen und am Ende von Halbbesoffenen (ob der Worte oder des Alkohols) gelobt werden.

Bei der FDP und dem schon erwähnten Guido Westerwelle soll es da gesitteter zugehen, doch da spielt der Vorsitzende nicht mit. Anhänger der FDP erreicht man schon dadurch, in dem man den Staatsteufel an die Wand malt, vorm großen Linksbündnis warnt und solch joviale Thesen äußert, wie: „Nur weil die Union nach links geht, werden SPD und Grüne ja nicht schöner.“ Wie gut täte es der FDP, wenn Westerwelle endlich nicht mehr so viel Macht hätte.

Von den restlichen Parteien, von der CDU bis zu den Linken, kam allerdings auch nicht mehr. Angela Merkel bewegte sich mal wieder im heimischen östlichsten Ostdeutschland und hielt ihre Kanzlerinnen-Grundsatzrede, die selbst für treue Anhänger einschläfernd war. Die SPD verteilte sich zum einen nach Ludwigsburg (Baden-Württemberg) und zum anderen nach Cuxhaven, doch das einzig Erwähnbare bleibt ein alter Bekannter: SPD gut, CDU böse, Kurs halten. Grüne und Linke sind Randerscheinungen, die auch mit Randnotizen behandelt werden können: Großbanken verstaatlichen, ökologische Erneuerung.

In der deutschen Politik gibt es mal wieder nichts Neues. Man hätte allerdings auch nichts erwarten müssen und die Vergleiche, die mit den Reden Obamas gezogen werden, sind schon grundsätzlich nichtssagend. Aber eines darf man dann doch fragen: Gibt es einen tieferen Sinn in der Kopflosigkeit führender politischer Schwergewichte dieses Landes oder bedeuten deren Auftritte schlicht und einfach das, was sie oberflächlich aussagen? Denn, wenn das stimmen sollte, wäre die Politik in schwierigen Zeiten wie diesen ein nutzloses Instrument, dessen Saiten nicht nur verstimmt, sondern schon gesprungen sind.

Der Glasperlenspieler

Helden sind das nicht

Die großen Helden – es gibt sie noch. Unser bewegtes Auge wandert durch die Gazetten der Welt, auf der Suche nach neuen Vorbildern und alten Schwarz-Weiß-Heroen. Keine Angst muss uns befallen, es sprüht und blüht und wächst und wütet.

Beim Blick in die Tageszeitung kam man heute um ein Bild nicht herum. Es zeigt einen der sogenannten „Kofferbomber von Köln“, Youssef Mohammad El Haj Dib, der den Fotografen die Mittelfinger entgegen streckt. Die Süddeutsche Zeitung zeigt jene Bildexegese gleich auf der Titelseite, in der Sächsischen Zeitung muss man immerhin einmal blättern. Neue Helden muss man eben gut vermarkten.

Besser wird es aber, wenn man in den Politikteil der Süddeutschen schaut. Die große Heldin der Deutschen, FDJ-Sekretärin … ähh … Bundeskanzlerin Angela Merkel, in vertrauter Umarmung und Andeutungen eines zärtlichen Kusses mit dem polnischen Premier Donald Tusk. Sie kann es. Sie verführt die Männer reihenweise, Sarkozy in Paris, Brown in London und Zapatero in Madrid, auch wenn die neuen Recken der europäischen Großmächte nun ein wenig Distanz zeigten. Sie ist die Femme fatale im politischen Zirkus und ihr nächstes Opfer wartet schon in Washington auf sie …

Meine persönlichen Helden warten nun aber zwischen dem ionischen und ägäischen Meer. Es sind jedoch nicht etwa die randalierenden Autonomen, nein, denn denen gilt auch ein wenig Respekt, da sie den korrupten Konservativen in der griechischen Regierung mal die Meinung sagen; vielmehr ist Premier Karamanlis mein Vorbild. Jener verkennt die politische Lage, zeigt keine Lösung für das durch die Finanzkrise gebeutelte Land und sagt den um Anerkennung bettelnden Aufständigen: Wir werden euch mit allen Mitteln bekämpfen. Ein Mann, der durchgreift, einer, dem man seine Tochter anvertrauen würde.

Nun denn: Helden sind vergänglich. Jede Epoche fand ihre eigenen Ikonen, deren Zeit mal eher oder später gekommen war. Nur wenige konnten Weltruhm erlangen, denen dies gelang, gebührt der Respekt aller. Von den drei Genannten kann man jedoch sicher sein: Ein neuer Luther ist da nicht drunter, Napoleon ist auch nicht in Sicht und Adenauer war noch schlechter als sein Ruf.

Gute Nacht,
der Glasperlenspieler