Das große Favoritensterben
(EM-Kolumne, Teil 9)
Das Besondere an großen Meisterschaften liegt gerade in ihrer Unvorhersagbarkeit. Es gibt einen großen Kreis von Favoriten, zum Anfang der EM waren es Portugal, Deutschland, Spanien, Italien, Niederlande und Frankreich, dann gibt es die sogenannten Geheimfavoriten, das waren Russland, Griechenland und Kroatien, und zu gute Letzt gibt es die kompletten Außenseiter, als da wären die Gastgeber Österreich und Schweiz, Polen und Rumänien. Doch vieles hat sich im Laufe der EM verändert, besonders auf Seiten der Favoriten.
Portugal schien in der Vorrunde noch locker durchzumarschieren, doch schon im Viertelfinale war gegen Deutschland Schluss. Das deutsche Nationalteam wird nun nach zwei schwachen Spielen den hohen Erwartungen gerecht. Den Weg ins Viertelfinale verpasst haben die Franzosen, deren veraltete Spielweise nicht mehr ziehen mag, Ähnliches gilt auch für Tschechien.
Doch gestern gab es die zweitgrößte Überraschung der Meisterschaft (die größte bleibt den phänomenalen Türken vorbehalten): Russland wirft den Topfavorit Niederlande mit einer bärenstarken Leistung aus dem Turnier und spielt den modernsten Fußball, den man unter den europäischen Teams gesehen hat. Eine junge Mannschaft mit einem erfahrenen Trainer, Guus Hiddink, deren Zeit vielleicht noch nicht zu dieser EM gekommen ist, der aber die Zukunft gehört.
Und auch heute muss ein Topfavorit gehen: Italien verliert im Elfmeterschießen mit 2:4 gegen Spanien. Das große Favoritensterben geht also weiter. Nun wird Spanien Gegner des russischen Teams. Viel Spaß dabei!
Der Glasperlenspieler
Das glückliche Händchen des Marco van Basten
(EM-Kolumne, Teil 7)
Da scheint es einer ganz schlecht zu meinen mit den Franzosen. Analog zum WM-Finale vor zwei Jahren spielt die französische Mannschaft seit Mitte der ersten Halbzeit nur noch zu zehnt, nachdem schon gleich zu Beginn ihre Bester, Franck Ribéry, nach einer Verletzung ausfiel. Ein Elfmeter beendet alle Träume und lässt die Italiener jubeln. Ein engagierter aber glückloser Luca Toni weiß am Ende, wie es sich gehört zu jubeln, denn er weiß, dass er alles besser kann.
Im zweiten Spiel des Abends enttäuschen die Rumänen, die von einigen Experten als Mitfavouriten gehandelt wurden, gegen ein B-Team der Niederlande. Man hätte mehr erwartet, der rumänische Trainer nimmt seine Spieler allerdings in Schutz: „Wir standen schon am Anfang unter Druck, als wir jedoch vom Tor der Italiener gegen Frankreich erfuhren, wurde es noch viel schwerer.“ Man möchte es verstehen, hätte sich aber mehr Einsatz und Spielfreude gewünscht.
Vielleicht war das aber auch gar nicht möglich. Die Holländer scheinen selbst mit einer zweiten Mannschaft, die auf neun Positionen ausgewechselt wurde, unglaubliche Spielstärke aufweisen zu können. Trainer Marco van Basten hat die Mannschaft wie keine Zweite zur EM hin aufgebaut und kann nun die Früchte seiner Arbeit ernten. Besonders mit seinen Einwechslungen bewies er ein glückliches Händchen.
Doch nicht zu früh gefreut. Denn im Halbfinale könnte schon Schluss sein. Da könnte man auf die Italiener treffen, die zum Glanz der Weltmeister zurückgekehrt sind und mit einem verbesserten Toni den Niederländern das Leben schwer machen könnten. Zuvor entscheidet sich allerdings heute Abend, wer zum Herausforderer der Niederländer im Viertelfinale wird: Russland oder Schweden.
Der Glasperlenspieler
Athene versus Minerva
(EM-Kolumne, Teil 4)
Griechenland ist raus. Rehakles heißt nun wieder Otto, Zeus scheint es nicht gewollt zu haben. Nun wird es also wieder einen neuen Europameister geben, so wie es schon immer in der Geschichte war. Und alle scheinen an Griechenland zu verzweifeln, denn was hat sich der deutsche Trainer da nur gedacht: Drei Mittelstürmer auf einmal und trotzdem so defensiv wie kein anderes Team.
Und irgendwo finden sich auch Parallelen zu Italien, die Buffon noch kurz vorm Aus hält (wie schon gestern erwähnt), indem er sich in die Ecke schmeißt und mit dem Beinchen allen rumänischen Träumen ein Ende bringt.
Und nicht umsonst sind es Griechen und Römer, die hier in die Ecke gedrängt werden und auch an ihrer Geschichte zu Grunde gehen. Die Mythologie von gestern ist vielleicht deren Fallstrick von heute. Es sind die großen Traditionen, wie sie bei Italien im Fußball und bei den Griechen in den olympischen Spielen liegen. Hier treffen elementare Tendenzen genau in dem Punkt aufeinander, als sie den Tiefpunkt erreichen, als sie das Waisenhaus durchwandern, um nun den Blick nach oben zu richten.
Denn: Fußball im Speziellen und Sport im Allgemeinen ist nicht nur „auf dem Platz“ entscheidend, sondern kann für mehr stehen: für eine Kultur des Niedergangs oder des Aufstiegs, für emotionale Trugbilder und politische Gemeinplätze. Fußball ist deswegen wertvoll, da er den Mensch in seiner niedersten Form darstellt und im gleichen Zuge kosmopolitisch sein kann.
Der Glasperlenspieler