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Ist die Zeit gekommen?

Zum möglichen neuen Anlauf für ein NPD-Verbotsverfahren

Das Jahr 2003
Damals waren es die vielen „Verbindungsleute“ (V-Leute), die den Sicherheitsbehörden von den Tätigkeiten der NPD berichteten, die schließlich das Verbotsverfahren gegen die Partei scheitern ließ. Solche V-Leute geben sich als normale Mitglieder, um tief ins Innere einer Partei zu blicken, deren Strukturen zu begreifen, mögliche geplante Straftaten zu berichten oder auch Entwicklungstendenzen früh zu melden. Sie sind meist der Szene zugehörig und handeln aus unterschiedlichsten Motiven. Während des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2003 wurden einige dieser V-Leute enttarnt, zudem wurden Verwicklungen bis in höchste Führungskreise bekannt. Es war nicht auszuschließen, dass die Führung mehrheitlich durch V-Leute gesteuert war, was das Verfahren ad absurdum geführt hätte. Durch die Einstellung des Verfahrens konnte nicht geklärt werden, ob die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist.

Die NPD heute
Was ist heute daran anders? Eigentlich nicht viel. V-Leute sind nach wie vor in der Partei, sie berichten den Sicherheitsbehörden wie es damals schon der Fall war. Die Partei hat sich gewandelt, sie tritt nun oberflächlich seriöser auf und wirbt als Kümmerer für die Probleme der „Benachteiligten“. Unter der Oberfläche folgt die Partei aber weiterhin ihren geschichtsrevisionistischen und faschistischen Grundsätzen, hält Verbindungen zu rechtsextremen Organisationen und Beziehungen zu rechten Parteien in vielen Ländern Europas. Die Partei hat ihre Führungspositionen mit mehreren vorbestraften Personen besetzt, die zum Teil aus freien Kameradschaften stammen oder bekannte Karrieren als neonazistische Rädelsführer ausleben. In einigen Bundesländern hat die Partei den Einzug ins Parlament geschafft, hier in Sachsen zum zweiten Mal hintereinander. Ende 2010 hat sich die Partei mit der DVU zusammengeschlossen, wobei diese Verbindung noch nicht in trockenen Tüchern ist, da es bei der Urabstimmung über den Verschmelzungsvertrag zu etlichen Mängeln gekommen ist. Die Partei ist zudem hoch verschuldet und musste im Jahr 2007 eine hohe Strafzahlung leisten. Immer wieder hat sich die Partei in Finanzskandale verwickelt, die sie zum Teil schwer erschütterten.

Bericht ohne V-Leute
Im Mai 2009 stellten die Innensenatoren einiger Bundesländer (darunter Berlin und Sachsen-Anhalt) einen umfassenden Bericht zur Verfassungsfeindlichkeit der NPD vor, der ohne V-Leute erstellt wurde. Darin weisen sie nach, dass die NPD nicht nur versucht theoretisch an der Bundesrepublik zu feilen, sondern dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu unterwandern sucht und sie beseitigen möchte. (weitere Informationen dazu NPD-Blog). Das 90-seitige Dokument dazu finden Sie hier.

Mögliches neues Verfahren
Seit einigen Tagen gibt es nun Überlegungen zu einem möglichen neuen NPD-Verbotsverfahren. Sollte sich ausgehend von Sachsen-Anhalt eine Mehrheit unter den Bundesländern finden lassen, könnte es zu einem neuen Verfahren kommen. Doch wie die Probleme mit den V-Leuten gelöst werden können, ist momentan noch unklar. Es gibt zwei denkbare Modelle: Zum einen könnte man versuchen die V-Leute abzuziehen, was das NPD-Verbotsverfahren aber aber erst später ermöglichen würde. Hier gebe es sicher größere Chancen ein Verbot zu erreichen, allerdings müsste man die Partei sich für eine gewisse Zeit selbst überlassen, was gefährlich sein könnte. Zum anderen könnte man die V-Leute in der Partei belassen und mit den restlichen Argumenten (siehe beispielsweise Dokument oben) ein Verbotsverfahren anstreben. Dies hätte möglicherweise mit ähnlichen Problemen wie schon 2003 zu kämpfen. Es bleibt schwierig, aber in einem sind sich zumindest die meisten einig: So, wie es jetzt ist, sollte es nicht bleiben.

Christian Helfricht

Moloch aus Stahl und Beton

Was uns Dresdner berührt, das ist oft gar nichts Besonderes. Mal sind es die kleinen Streitereien zwischen Nachbarn, mal Verkehrseinschränkungen oder das Winterwetter, mal die Haushaltsdebatte im Stadtrat, mal ein fehlendes Schwimmbad oder eine neue Einkaufsmöglichkeit. Oft sind es Dinge, die es auch in jeder anderen Stadt gibt, banale Sachen eigentlich, die für den einen oder anderen von Belang sind, von vielen aber schlichtweg ignoriert werden. Mal werden die Themen auch etwas bekannter (Kraftwerk Mitte) und erlangen auch in der einen oder anderen überregionalen Zeitung Erwähnung, kein Thema wird momentan aber so eng mit uns Dresdnern verbunden, wie das der Waldschlösschenbrücke.

Und es entspricht auch ein wenig dem Dresdner Gemüt. Wir sind großherzig, aber verschlossen, wir debattieren bis es nichts mehr zu debattieren gibt und noch weit darüber hinaus. Unser Herzblut regt sich bei Ungerechtigkeiten und erstarrt, wenn man sich gerade noch als letzter in den Bus quetschen konnte. Und wir lieben das Flanieren. Momentan sind wir Brückenflaneure. Schauen, genießen, schlendern und knipsen, die frische Luft genießen, Langlauf an der Elbe, Glühwein auf den Weihnachtsmärkten und Stollen zum Kaffee, Altstadtkulisse und Canalettoblick und dann türmt sie sich vor einem auf: die Brücke. Die Brücke.

Als wir am Sonntag nun auch mal die Waldschlösschenbrücke besuchten, da war der Andrang enorm. Das Fernsehen hatte aufgebaut, es gab eine belanglose Sondersendung des SachsenSpiegels mit vielen Vor-Ort-Berichten, und im Hintergrund das Hämmern und Werkeln der Bauarbeiter, die bei eisiger Kälte und an diesem beschaulichen Sonntag die Artisten gaben für ein Schauspiel, das eigentlich gar keins war. Die Brücke, sie ist nun viel mehr an dem Ort, wo sie eigentlich nie stehen sollte, meinen die einen. Die anderen hätten die Brücke schon viel eher da gesehen, gäbe es nicht diese miesepetrigen Querulanten von Umwelt- und Naturschützern, die das Großprojekt wegen ein paar Fledermäuschen verhindern wollten. Meine Meinung habe ich zwar schon des Öfteren zum Besten gegeben, aber wenn man dann mal davor steht, dann kann man sich ja vielleicht doch noch umstimmen lassen … naja, geklappt hats nicht und ein weiteres Mal hätte ich diese Brücke gern direkt in die Luft gesprengt (wenn das nicht so laut wäre und wahrscheinlich noch mehr Teile der umgebenden Natur zerstört hätte).

Was uns Dresdner berührt, das ist oft gar nichts Besonderes. Das Welterbe, was ist das schon? Die Natur – uns Dresdner juckt das nicht.

Christian Helfricht

Moloch aus Stahl und Beton – die Waldschlösschenbrücke

Vergeblicher Kampf, aber ein Zeichen des Muts: nicht jeder ist mit der Brücke einverstanden  (Welterbeflagge)

Zur Zeit der Entstehung ebenfalls nicht unumstritten: das Blaue Wunder

Tillich: Haltet den Bürger klein!

Wir Sachsen rühmen uns ja der großen Taten, die wir seit der Wende vollbracht haben. Unsere Städte wurden wieder aufgebaut, unser größter Fluss, die Elbe, wird immer sauberer und wenn wir über Industrieansiedelungen reden, dann können wir aus dem Vollem schöpfen. Das mag sich wohl auch unser werter Ministerpräsident Tillich gedacht haben, als er einen Beitrag für das Magazin Focus geschrieben hat, der am heutigen Montag erscheint. Im Wortlaut scheibt Tillich (laut Vorabmeldung):

„Die Sachsen wollen zu den Spitzenregionen Europas aufschließen. Deshalb gibt es bei uns kein Großprojekt, das erfolgreich durch Klagen gestoppt wurde. Wir haben Kohlekraftwerke gebaut, Straßen und Autobahnen, Braunkohle-Tagebaue erweitert. Das ist in anderen Bundesländern nicht mehr möglich.“ und
„Für den Erfolg bei solchen umstrittenen Vorhaben [gemeint hier Stuttgart21 und die Waldschlösschenbrücke, d.V.] gilt: Die Politik sollte umfassend ein solches Projekt erklären und auf dem einmal eingeschlagenen Weg nicht umkehren“ und
„Vielleicht tun wir uns im Osten nach den harten Erfahrungen mit dem Übergang vom Sozialismus zur Marktwirtschaft leichter, die Konsequenzen des Marktes auszuhalten.“ und
„Die Globalisierung erzeugt […] einen Anpassungsdruck, bei dem auch die Deutschen merken, dass das unter Umständen nicht ohne Verluste vor sich geht. Im Osten haben wir noch nicht diesen Besitzstand erreicht.“

Da ist einer stolz darauf, das Volk kleingehalten zu haben. Da fühlt sich einer wohl in seiner Rolle als Sachverwalter und Wirtschaftslobbyist. Und da äußert einer doch tatsächlich, der Bürger könne zwar klagen, aber eine Chance hat er nicht wirklich, wenn Wirtschaftsinteressen entgegen stehen. Kein Großprojekt wurde durch Klagen gestoppt? Hört, hört. In anderen Bundesländern wäre das nicht möglich? Was meint Tillich damit nur?

Eigentlich äußert Tillich Mißfallen und Abschätzigkeit gegenüber jedem, der sich der Linie der Sächsischen Landesregierung widersetzt. In anderen Ländern gebe es Bürgerproteste, hier bei uns in Sachsen muss man damit aber nicht rechnen. Und wenn doch, dann ist das auch bald wieder vorbei. Und dann dieses alte Drama sich selbst überschätzender Politiker: Wir wissen, liebes Wahlvolk, was zu tun ist. Wenn wir euch alles ganz fein erklären, werdet ihr schon sehen, dass wir recht haben. Windet euch nicht, denn jeder Aufwand geht ins Leere.

Hier entfernt sich einer von denen, für die er eigentlich zur Stelle sein soll. Nicht mal Ministerpräsident Mappus in Stuttgart ist so dumm, dass er den Bürgerprotest komplett ignoriert. Das schafft nur einer, der unser wunderschönes Sachsenländl regiert. Einer, der nicht mal in der Fliegengewichtsklasse der CDU-Führung mitboxen kann und sich mit solch menschenfremden Äußerungen noch weiter ins Abseits bringt. Oder umgekehrt: Tillich, der seine Meinung immer nach dem Fähnchen im Wind richtet, wäre ein idealer Stellverteter Merkels: unbedeutend und charakterlos.

Christian Helfricht

CDU Nordsachsen liebäugelt mit Nazis

Nachtrag:
Am gestrigen Donnerstag wurde der im Beitrag beschriebene Skandal nun Realität, wie die taz nun berichtet: NPD-Mitglieder wurden mit 5 Stimmen in Ausschüsse gewählt, obwohl nur drei NPDler anwesend waren. Kandidaten der Freien Wähler gingen dafür leer aus. Die NPD freut sich und konstatierte: „Im Kreistag gibt es keine geschlossene Anti-rechts Front.“ Das ist der erste Schritt einer Zusammenarbeit von CDU und NPD. Werden weitere folgen?

Was die Tageszeitung taz in ihrer heutigen Ausgabe berichtet, muss man zweimal lesen, bevor man es wirklich glaubt: Die CDU im nördlichen Sachsen möchte mit der NPD zusammenarbeiten. Nach dem Einzug der Nazis in alle Kreistage Sachsens, scheint man sich also langsam daran gewöhnt zu haben, neben Menschen zu sitzen, die das Land von Ausländern säubern wollen. Doch reicht das anscheinend noch nicht: Wenn sie es schon einmal ins Parlament geschafft haben, kann man auch gleich mit ihnen zusammenarbeiten. Der Fraktionschef der CDU im Kreis Nordachsen sagte zur taz: „Nein, Anträge der NPD werde ich nicht einfach ablehnen, nur weil sie die NPD stellt.“

Und natürlich meint auch der Bürgermeister Mügelns und Fraktionschef der FDP, Gotthard Deuse, der mit der DSU zusammenarbeitet: „Ausgrenzen bringt nichts.“ Gotthard Deuse ist in solchen Fällen ja kein unbeschriebenes Blatt, gab er der Rechtspostille Junge Freiheit doch ein deutschtümelndes Interview und zeigte im Falle der Hetzjagd gegen Inder durch seine Stadt keine Engagement gegen Rassismus.

Scheint es nun also so weit zu sein, dass man den Tabubruch wagt und mit Biedermännern in Anzug gemeinsame Sache macht und die antisemitischen Parolen und nationalsozialistischen Verklärungen im Hintergrund akzeptiert? Ist dies der ins Rollen gekommene Stein, der nicht mehr aufzuhalten ist und der das Tor für Gedankenspiele öffnet, die die geschundene deutsche Seele verlangt? Oder kann man gar von kluger Berechnung sprechen, da Teile der CDU schon lange davon ausgehen, dass Unterschiede zwischen Linkspartei und NPD nicht zu finden seien? Ist damit die Normalisierung von Neonazismus perfekt?

Eine interessante Studie legt die taz am Ende ihres Berichtes dar: Eine Analyse der Friedrich Ebert Stiftung stellt die Folgen der Einbindung der NPD vor und meint, dass bei NPD-Anträgen immer die „Prinzipien der Menschenwürde“ und „Toleranz“ gewahrt sein müssen und konstatiert: „Die Anträge der extremen Rechten sind konsequent abzulehnen, damit ihnen kein politischer Spielraum eingeräumt wird.“ Danke taz, für diesen deutlichen Bericht.

Der Glasperlenspieler