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Archive for Dezember 2008

„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“

Wenige Tage vor Weihnachten und so richtig will sich das Gefühl dafür noch nicht einstellen. Draußen möchte das Wetter mir fast schon mediterrane Verhältnisse vorgaukeln, hier drinnen ist eine mir schon nicht mehr vertraute Ruhe eingekehrt, eine Art zu leben, die ich schon fast nicht mehr kenne. Heute Geschenke eingepackt, zuvor noch einiges einkaufen und früh Freundin verabschiedet.

Und seltsam: Irgendwie waren mir die Menschen heute nicht vertraut. Oder besser: An allen Ecken zuviel von dem, was mir noch nicht so nahe kommen will. Jeder wünscht ein frohes Fest, man erwidert und meint es nur ganz nebenbei. In der Buchhandlung, im Warenhaus, im Lebensmittelgeschäft, ein Stimmung, die Nähe heuchelt und in Wirklichkeit von den Geschäftsführern verordnet ist.

Und gleich fühle ich mich seltsam überreizt. An der Theke steht mir eine Verkäuferin gegenüber und reagiert auf mein Händereiben, das sie als ein Gefühl von Kälte deutet, mit der vertrauensbildenden Bemerkung, dass es bei ihnen im Geschäft aber nicht kalt sei, worauf ich sie nur abschätzig muster, ignoriere und das Gewünschte einforder. Ein nachgerufenes „Schönes Fest“ höre ich schon nur im Gehen; dieser Laden, wie er fremd mit bunten Artikeln für den täglichen Gebrauch wirbt – nicht heute.

Noch nicht, möchte ich hoffen. Normalerweise bin ich schon viele Tage vorher in großartiger Weihnachtsvorfreude, doch diesmal kommt das alles mit Verspätung. Alles ist anders. Seit Jahren einmal wieder in Dresden feiern, im Hause der Großeltern, das mir in den letzten Jahren wieder ein vertrautes Zweit-Zuhause geworden ist und zwischen Weihnachtsmännern und Lametta, das ich schon aus frühester Kindheit kenne. Und alles ist trotzdem wie immer. Mit den alten Geschichten, die man schon etliche Male gehört hat und trotzdem immer wieder gern hört, mit den alten Handlungsmustern und unterschiedlichen Vorstellungen von Bescherung und Festmahl.

Jedes Jahr ist die Weihnachtszeit für mich aber nicht nur ein Zeichen von Gemeinsamkeit und Familie. Sie ist auch ein Menetekel der Vergänglichkeit, des Alterns und der Rastlosigkeit des Lebens. In den ruhigen Momenten, genau dann, wenn man fernab von Glanz und Glockenklang in die nahe Zukunft schaut und deren Unbestimmtheit vernimmt, ist es besonders schwer. Was wird in ein paar Jahren sein, was in Jahrzehnten? Wie sieht das Arbeitsleben aus, wie das hohe Alter und was kommt danach? Es ist für mich, so simpel das klingt, auch eine Zeit der tiefen Vertrauensnotwendigkeit, vielleicht auch ungelebter Religiosität. Haltlose Minuten, deren Dauer und Vehemenz so schwerwiegend sind, dass sie dem Leben das notwendige Maß an Leichtfüßigkeit und Kaltschnäuzigkeit nehmen – man sollte sie verdammen, wegschließen und in einer Truhe versiegeln. In den Tiefen der Ozeane versenken und darauf hoffen, sie nie wieder zu Gesicht bekommen zu müssen. So verheißungsvoll, so unmöglich, so vergeblich.

Der Genuss muss immer im Moment liegen. Nicht: Hier stehe ich und weiß nicht anders. Sondern: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ (Martin Luther)
Der Glasperlenspieler

Nicht die Philosophen stehen im Mittelpunkt!

18. Dezember 2008 2 Kommentare

Heute endet für mich das Jahr 2008, was das Universitätsschaffen betrifft. Viel ist passiert, einiges wurde erreicht, manches ging auch schief. Entscheidungen für Seminare bereut man im Nachhinein und zieht daraus für das nächste Mal seine Schlüsse. Man nimmt sich Dinge vor, bei mir betrifft dies besonders das Fach Erziehungswissenschaft, dem ich mehr Tribut zollen möchte, und im nächsten Moment möchte man seine Schwerpunkte schon wieder anders setzen, zum Beispiel das Unterrichtsspezifische des Studiums der einzelnen Fachwissenschaften zu stärken. Grundsätzlich nimmt man sich immer vor, schon die Hälfte der Leistungen in der Vorlesungszeit zu erledigen, schließlich kommt das jedoch nie zustande.

Das Lehramts-Studium ist immer wieder ein auf und ab. Oft verzweifelt man an Anspruch und Wirklichkeit, später nur noch an der Wirklichkeit. Meine schlechte Ausbildung an der TU Dresden, die man für Lehramtsstudenten nie und nimmer empfehlen darf, die hier besonders institutionell zu begründen ist, enttäuscht und fordert mich zugleich: Mach was draus, wähle aus dem Miesen die Sterne und gestalte dein Studium selbst. Doch die Verzweiflung liegt tiefer, bei mir wie bei anderen: Warum studiere ich Philosophie, warum Germanistik, warum Erziehungswissenschaft und nicht das Deutsch, das ich den Schülern später selber beibringen möchte, warum darf ich Ethik nicht schülerorientiert, d.h. problemorientiert studieren, sondern muss mich mit den hintergründigsten Gedanken der unwichtigsten Philosophen beschäftigen?

Sicher: Seit diesem Semester ist etwas besser. Die Vorlesung Didaktik der Philosophie und Ethik und das Seminar Texte lesen und schreiben können einen Anreiz geben, zeigen Modelle eines praxisorientierten Ethikunterrichts und sind der allererste Anfang (aufgemerkt: ich befinde mich im fünften Semester) für eine Vorstellung vom Beruf des Ethiklehrers. Jedoch: Auch ein engagierter Professor mag nicht retten können, was grundsätzlich falsch läuft.

Ein Studium, das dazu führen soll, Kinder zu unterrichten, kann sich nicht daran orientieren, was die jeweilige Fachwissenschaft an theoretischem Wissen dem Studenten weitergeben will, sondern muss sich an die Lehrpläne und konkrete Situation der Schüler anpassen. Es bedarf der Etablierung eines neuen Geistes, der sich daran messen muss, inwieweit er dem Schüler eine Hilfe fürs spätere (Arbeits-)Leben gibt, inwiefern er Probleme, die oft schon im Elternhaus entstehen, auszubessern versucht und gerade nicht Wissen vermittelt, das der Schüler nicht im Geringsten zur Bewältigung komplexer Lebensentwürfe benötigt. Ethikunterricht muss Probleme des Lebens thematisieren, wie sie jedem passieren können, er muss zum Beispiel bioethische Diskurse, wie sie gesamtgesellschaftlich geführt werden, vermitteln und meinungs- und interessenbildend wirken. Er darf nicht immer auf einen Text eines Philosophen zurückführen, denn nicht die Ansichten der Philosophen stehen im Mittelpunkt, sondern die aufwachsenden Generationen, die sich unter wechselnden Wertmaßstäben zurechtfinden müssen.

Der Glasperlenspieler

For your eyes only …

Die Regelmäßigkeit lässt auf sich warten, doch diesmal war es ein Film, der mich zu diesem wunderschönen Lied trieb. Als alter und neuer Bond-Fan, der besonders auch für die dazugehörige Musik Interesse bekundet, ist besonders „For Your Eyes Only“ (dt.: In tödlicher Mission) anregend, denn Sheena Eastons Titelsong reizte mich schon eine ganze Weile. Und vor wenigen Wochen erwachte die alte Liebe … durch jenen alten Film.

Songs 5:
Sheena Easton – For Your Eyes Only

Der Glasperlenspieler

Helden sind das nicht

Die großen Helden – es gibt sie noch. Unser bewegtes Auge wandert durch die Gazetten der Welt, auf der Suche nach neuen Vorbildern und alten Schwarz-Weiß-Heroen. Keine Angst muss uns befallen, es sprüht und blüht und wächst und wütet.

Beim Blick in die Tageszeitung kam man heute um ein Bild nicht herum. Es zeigt einen der sogenannten „Kofferbomber von Köln“, Youssef Mohammad El Haj Dib, der den Fotografen die Mittelfinger entgegen streckt. Die Süddeutsche Zeitung zeigt jene Bildexegese gleich auf der Titelseite, in der Sächsischen Zeitung muss man immerhin einmal blättern. Neue Helden muss man eben gut vermarkten.

Besser wird es aber, wenn man in den Politikteil der Süddeutschen schaut. Die große Heldin der Deutschen, FDJ-Sekretärin … ähh … Bundeskanzlerin Angela Merkel, in vertrauter Umarmung und Andeutungen eines zärtlichen Kusses mit dem polnischen Premier Donald Tusk. Sie kann es. Sie verführt die Männer reihenweise, Sarkozy in Paris, Brown in London und Zapatero in Madrid, auch wenn die neuen Recken der europäischen Großmächte nun ein wenig Distanz zeigten. Sie ist die Femme fatale im politischen Zirkus und ihr nächstes Opfer wartet schon in Washington auf sie …

Meine persönlichen Helden warten nun aber zwischen dem ionischen und ägäischen Meer. Es sind jedoch nicht etwa die randalierenden Autonomen, nein, denn denen gilt auch ein wenig Respekt, da sie den korrupten Konservativen in der griechischen Regierung mal die Meinung sagen; vielmehr ist Premier Karamanlis mein Vorbild. Jener verkennt die politische Lage, zeigt keine Lösung für das durch die Finanzkrise gebeutelte Land und sagt den um Anerkennung bettelnden Aufständigen: Wir werden euch mit allen Mitteln bekämpfen. Ein Mann, der durchgreift, einer, dem man seine Tochter anvertrauen würde.

Nun denn: Helden sind vergänglich. Jede Epoche fand ihre eigenen Ikonen, deren Zeit mal eher oder später gekommen war. Nur wenige konnten Weltruhm erlangen, denen dies gelang, gebührt der Respekt aller. Von den drei Genannten kann man jedoch sicher sein: Ein neuer Luther ist da nicht drunter, Napoleon ist auch nicht in Sicht und Adenauer war noch schlechter als sein Ruf.

Gute Nacht,
der Glasperlenspieler

Gemeinsam vereint. CDU verpasst Chance zur Wiedergutmachung ihrer Verantwortung in der DDR

„Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands“ – so lautet der viel beachtete und nun beschlossene Antrag des CDU-Parteitages in Stuttgart. Zentral geht es um folgendes:

  1. Die friedliche Revolution war die notwendige Folge auf 40 Jahre Unrecht und planwirtschaftliches Versagen.
  2. Die CDU ist der führende Motor zur Wiedervereinigung gewesen und die Verdienste von Helmut Kohl sind immer wieder vor Augen zu führen.
  3. Die Linke ist ursächlich weiter verantwortlich für die Verbrechen des SED, die SPD hat die damaligen Zeichen der Zeit verkannt. 
  4. Die Erinnerungskultur muss gestärkt und Lehrpläne müssen neu angepasst werden, da sich in den Köpfen der Menschen ein verklärtes Bild der DDR festgesetzt hat.
  5. Der wirtschaftliche Aufbau Ost war trotz einiger Rückschläge ein Erfolgsmodell, Infrastruktur und Bildungssystem wurden erneuert.
  6. Für das 21. Jahrhundert gilt: Weiter so! 

Darin auch enthalten sind die äußerst umstrittenen Passagen zur Ost-CDU und deren Mitverantwortung im Unrechtsregime der DDR: „Von aufrechten Frauen und Männern gegründet, war die CDU in der sowjetischen Besatzungszone bereits kurz nach ihrer Gründung schweren Repressalien ausgesetzt. Etliche Mitglieder mussten ihr Bekenntnis zu unserer Partei sogar mit dem Leben bezahlen. Die CDU wurde von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) als führender Partei der DDR zwangsweise gleichgeschaltet. Viele aufrechte Freunde hielten die Idee der christlichen Demokratie auch in Zeiten der Diktatur wach. Sie versuchten in den sich bietenden Freiräumen zu wirken und konnten so einen Beitrag zur friedlichen Revolution leisten. Gleichwohl hat die CDU in der DDR im totalitären System der SED – Diktatur mitgewirkt. Die CDU nimmt die ganze Geschichte Deutschlands und damit auch die der eigenen Partei an und stellt sich seit ihren Beschlüssen von Weimar (1991) und Dresden (1991) sowie im Grundsatzprogramm „Freiheit in Verantwortung“ (1994) dem notwendigen Prozess der Aufarbeitung und Erneuerung.“

Die CDU hat sich mit diesem Beschluss jedoch nicht oder nur gering für die Verantwortung ihrer eigenen Geschichte entschuldigt. In dem sie zwar berechtigterweise auf ihre Gleichschaltung hinweist und kurz darauf ihr Mitwirken nennt, setzt sie ihr Verschulden aber außerhalb ihres Handlungsspielraums an. Damit begibt sie sich in die Rolle des unschuldigen Lamms, dem die Ost-CDU allerdings nicht entsprach. War man in dieser Partei, und das muss betont werden, konnte man sogar verschiedene Sonderrechte genießen, was den anderen Blockparteien nicht möglich war. Um bestimmte Ämter zu erreichen, war es sogar ratsam in die CDU einzutreten, anstatt es bei der SED zu probieren. Nicht zur Vergessen auch, inwieweit sich die Volkskammer später zusammensetzte: 35 Mitglieder der CDU hatten Stasiverbindungen.

Die CDU hat mit dem verabschiedeten Beschluss die Chance zu einer Wiedergutmachung verpasst. Eine ordentliche Aufarbeitungskultur nennt Ross und Reiter und versteckt sich nicht hinter Phrasen der Unschuld. So, wie die CDU es von anderen Parteien, speziell der Linken, einfordert, muss sie mit sich selbst ins Gericht gehen. Wenn sie dem nicht nachkommt, muss man ihr Unfähigkeit und Arroganz vorwerfen, wenn nicht sogar Geschichtsklitterung.

Der Glasperlenspieler